Unscharfe Verhältnisse: Das interne und externe Ringen um das Wesen und die Zukunft der Ukraine

Die dramatischen Ereignisse und Bilder vom vehement umkämpften Kiewer Maidan-Platz stehen uns deutlich vor Augen: Die unübersichtlichen, chaotischen Verhältnisse, Tränengas- und Rauchschwaden in der Luft, von Demonstranten errichtete Barrikaden, Molotowcocktails und Feuerwerkskörper, von der Regierung bestellte Scharfschützen auf den Dächern; der forcierte Gewalteinsatz, der viele Menschenleben – insbesondere auf Seiten der Demonstranten gegen den inzwischen abgesetzten ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch – forderte; Bilder von Angreifern, Angegriffenen, Gewalttätern und -opfern.

Mit hoher Frequenz berichtete die Tages- und Wochenpresse, das Fernsehen und das Radio von den Vorgängen auf dem Maidan-Platz. Mit der zunehmenden Eskalation der Gewalt wurden zudem diverse Liveticker und Livestreams geschaltet.

Trotz dieser Überfülle an Informationen und Bildern gestaltete sich die Berichterstattung des etablierten Qualitätsjournalismus inhaltlich überraschend eindimensional, wie dies in gleich mehreren Blogbeiträgen kritisch bemerkt wurde. Aufbereitet worden sei der Konflikt in der Ukraine mithilfe (allzu) klarer Dichotomien – so etwa Jörg Wellbrock auf der Seite Der Spiegelfechter, Stefan Korinth oder Albrecht Müller in Beiträgen auf den NachDenkSeiten: Während die Demonstranten auf dem Maidan-Platz nach Europa, mehr Freiheit und Demokratie streben würden, sei es das Anliegen Janukowitschs und seiner Anhänger, das Land endgültig und irreversibel in eine despotische Autokratie zu verwandeln und zugleich in die schützende Umarmung Russlands zu führen. Nicht nur wird die Ukraine als gespalten dargestellt, zerrissen in einen europäischen Westen und einen russischen Osten, Ersteres werde zudem – zumindest implizit – oftmals als das Gute und Letzteres als das Böse schlechthin markiert. Die Janukowitsch-Gegner würden dabei in allzu positivem Licht gezeigt und deren Rückgriff auf Gewaltmittel geflissentlich in Kauf genommen, während Janukowitsch und seine Verbündeten durchweg in ihrem Handeln dämonisiert würden.

Besonders nachdrücklich prangert Korinth in diesem Zusammenhang das Versagen des Qualitätsjournalismus an. Zu einseitig auf die vermeintlich pro-westliche Opposition sei die Berichterstattung fokussiert, zu wenig schaue sie über den sehr eng geschnittenen Tellerrand des Maidan-Platzes und der Kiewer Innenstadt hinaus, zu wenig hinterfrage und recherchiere sie die Zusammensetzung der äußerst heterogenen Oppositionsbewegung, die eben mehr als nur friedliebende, nach Freiheit und Demokratie strebende Gruppierungen, sondern auch (ultra-) nationalistische, rechtsradikale bzw. faschistische Gruppierungen, wie etwa die Partei Swoboda, umfasse. Auch die Rolle des von den westlichen Medien insbesondere hervorgehobenen Oppositionspolitikers – und ehemaligen Boxweltmeisters – Vitali Klitschko und seiner Partei Udar, werde zu wenig hinterfragt. Nicht nur, dass Klitschko während der Demonstrationen mit den rechten (Ultra-)Nationalisten paktierte, auch sein politisches Programm und seine allzu große Nähe zur christdemokratischen Konrad-Adenauer-Stiftung, erscheint Korinth und Müller zumindest frag- oder diskussionswürdig.

Wohin entwickelt sich die Ukraine nun und wer soll für sie – intern und extern – die Verantwortung übernehmen? Welches ist hierbei die Rolle des Westens, der Europäischen Union und Russlands? Auf der Seite Spreepublik fordert Dr. Hans-Georg Wieck in einem Gastbeitrag die Europäische Union und Russland zumindest zu ernsthaften Gesprächen über die Zukunft der Ukraine auf. Die EU müsse zudem ihren positiven Einfluss als normen- und wertegeleitete Macht geltend machen und die Ukraine auf den richtigen – nämlich europäischen – Weg führen. Auch Clemens Wergin fordert auf seinem Blog flatworld die EU und den Internationalen Währungsfond (IWF) dazu auf, der Ukraine sowohl finanziell, als auch ganz praktisch unter die Arme zu greifen, um ihr bei dem Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen nach europäischem Vorbild behilflich zu sein. Dies komme den Westen allemal günstiger, als die spätere Eindämmung eines neoimperialen Russlands, das sich bei westlicher Untätigkeit im Hinblick auf die Ukraine am Horizont abzeichne. Wesentlich skeptischer warnt hingegen Ulrich Gellermann auf der Seite Rationalgalerie vor den Konsequenzen, die es hätte, wenn man die Ukraine einfach zu einem weiteren EU-Entwicklungsprojekt machen würde, oder wenn diese aus rein geostrategischen Motiven NATOisiert würde.

Der Blog Der Lindwurm ist von all diesen Alternativen – ob nun Pro-Europa oder Pro-Russland – insgesamt wenig angetan und will sich folglich so gar nicht vom revolutionären Funken anstecken lassen. Alles Mist, so sein knappes Urteil, ob der unscharfen Verhältnisse in der Ukraine.

Dieses Diktum muss man so freilich nicht teilen, doch gemahnt es uns als Beobachter – wie schon bei den, natürlich widerum anders gelagerten, Arabellions – Vorsicht bei der (vorschnellen) Beurteilung von revolutionären Dynamiken walten zu lassen: Schnell greift man auf gewohnte Beobachtungs- und Erklärmuster zurück, auch wenn sie nicht so richtig passen mögen. Schnell ist man bereit, auf das eine Pferd zu setzen, weil es uns ein wenig bekannter oder vielversprechender als das andere vorkommt. Jetzt, wo sich der Rauch und Nebel auf dem Maidan-Platz zumindest vorerst gelichtet hat, sollten wir genau hinschauen, um uns ein möglichst fundiertes Urteil bilden zu können, das der komplexen Lage gerecht wird.

5 Responses to "Unscharfe Verhältnisse: Das interne und externe Ringen um das Wesen und die Zukunft der Ukraine"

Christian von spreepublik.de sagt:

28. Februar 2014 um 16:19

Vielen Dank für die Erwähnung in ihrer (gelungenen) Zusammenfassung der Geschehnisse und Meinungen in der Ukraine!
jwalter sagt:

28. Februar 2014 um 16:55

Sehr gerne – und Grüße an die Spree!
Lusru sagt:

4. März 2014 um 19:27

“Der Blog Der Lindwurm
ist von all diesen Alternativen – ob nun Pro-Europa oder Pro-Russland – insgesamt wenig angetan und will sich folglich so gar nicht vom revolutionären Funken anstecken lassen. Alles Mist, so sein knappes Urteil, ob der unscharfen Verhältnisse in der Ukraine. ”
Es gilt: Wer lesen kann ist immer im Vorteil.
Mehr “revolutionärer Funke” als dieser Frust über die Okupation der Bewegung durch direkte faschistische Neonationalisten und Klitschko als Ritter von der traurigen Konrad-Adenauer-Stiftung geht nicht, da machen die beiden Timoschtenko-Butler den Kohl auch nicht mehr fett, auch wenn sie noch so viele Freibeuter” ins russische Land beauftragen damit, mal etwas “Ordnung in Russland” zu schaffen.
Wenn ich damit den Lindwurm lese, und dann die schmalbrüstige Sicht von Euch beiden auf diese Texte (u.a. auch mal von mir) , frage mich, ob ihr beim Lesen eventuell die Brille vergessen hattet.
Natürlich ist in der Ukraine “Alles MIST” –
Die Frage ist jedoch, warum,?
Und nicht, ob man sich vom angeblich “revolutionären Funken” (der deutlich gekennzeichneten Faschisten und Neonazis mit ihren Symbolen der damaligen faschistischen Ukraine-Hitler-Armee auf dem gesamten Maidan) nicht anstecken läßt – da hilft weder wegschauen, noch publizistisch verwischen, noch das hilflose Herumgehampel des US-Außenministers unter DIESEN Symbolen, um die zu ehren, die zu Tode kamen, weil irgend jemand nicht warten wollte, bis der gewählte Schluder-Präsident durch Neuwahlen im Mai eh hätte abtreten müssen, da keine Wiederwahl möglich – nur dann hätte es ja keinen Krawall gegeben …
Was für ein Hokuspokus wird der Welt hier vorgeführt:
Die einen wollen besser – oder überhaupt – vernünftig leben, die anderen “Heim ins Reich”, und Klitschko soll die Rolle der Katholischen Kirche dabei sicherstellen, während die bereits sich gut versorgt habenden Timoschenko-Assistenten zu kurze Arme und zu geringe Sichthöhe haben, um ihre einzige Chance für das Land Ukraine zu sehen oder zu fassen – sie können und wollen nur denen die Hand geben, die nichts drin haben.
Da telefoniert Putin mit Obama und den anderen WestlandFürsten – und unmittelbar anschließend macht er Krim ologie – was läuten da die Glocken?

Sie läuten:
“Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen” – und dann kam sie, HEIMLICH abgestimmt (und anderswo in der Welt ausgeglichen) zwischen USA, Sowjets, UK und Frankreich, wie wir heute wissen.

Und genau das läuten – nicht nur die Kremlglocken, sogar dem genervt herumschwatzenden Obama (viele viele Worte und nichts gesagt) und seinem sich auf den Maidan verdrückenden Außenminister ist anzusehen, daß da was nicht gelungen ist, da man ja nicht unbedingt selber Ukrainfaschistos unterstützen möchte …
Wie gesagt: Alles längst gelaufen: “Niemand hat die Absicht ….”
Was soll denn da ein “revolutionärer Funke””?
Das war einmal, der hat schon in orange nicht gezündet und jetzt nur auch nur – gezündelt.
Und während Kerr etliche Milliönchen Euro verspricht, bietet GASPROM das Lebenselixier: GAS UND MILLIARDENKREDIT, wie gehabt, nur jetzt das Gas etwas teurer zum Weltmarkpreis und wie es aussieht unter “Auszug” der Russen aus der Ukraine im wahrsten Sinne des Wortes: Gleich mit ihren “Gebieten”….
Ein revolutionärer Funke wurde nie gebraucht, es wäre davor billiger und ukrainischer geworden, und ohne Tote, so ist das, wenn selbsernannte Assistenten sich unbedingt wichtig machen und sich dabei auf Hakenkreuzler stützen …
Oder waren die das gar nicht?

Dennoch ist Euch beiden für Eure Aufmerksamkeit zu danken, der LINDWURM hat es sehr wohl verdient: Gelegentlich gibt es da mal keinen mainstream, gemainstreamte Sicht wie in der “konzertierten RevolutionsAktion” der ARD- und ZDF Medien, mit der sie sich unbedingt an der Olympiade vorüberschleichen wollte,.
Inzwischen tauschen sich unsere unabhängigen öffentlichrechtlichen Journalisten wohl nicht nur die Begriffsfindungen sondern auch die Sichtweisen und verbalen Cuttermesser aus, sie sind so frei, daß sie sich das erlauben und Recherche auch mal nur andeuten oder imitieren (Suggestivitis) und echte Sichten der eigenen Leute “zu Hause sofort reparieren” – kurz:
In der Tat
alles Mist, nicht nur in der Ukraine, die inzwischen sich einen alten Rettungsring -einen sehr alten, weil über 75 Jahre alt und von “befreienden Deutschen” mal gestrickt – hat überziehen lassen …
Über dem Maidan weint der Himmel und der Wind stürmt in des trauernden Kerrs Mantel während Klitschko nunmehr fast zeitgleich ins ARD-Mikro spricht:
“Der Konflikt muß nur in Moskau entschieden werden.”
(Ist ihm was entgangen?)
Wurde er wohl längst – nur wissen darf es halt noch niemand, ach ja: “Niemand hat die Absicht, ….”
1. jwalter sagt:
  
  5. März 2014 um 11:32
  
  Zunächst einmal freuen uns natürlich über Kommentare, beinhalten sie nun Lob oder Kritik.
  Vielleicht aber noch ein paar Worte zum Selbstverständnis der Blogumschau:
  Das Bestreben unserer Beiträge ist es eben, möglichst unterschiedliche Meinungen zu Wort kommen zu lassen. Um unsere eigene Meinung geht es dabei weniger. Natürlich kann man nicht immer jedem einzelnen verlinkten Beitrag voll und ganz gerecht werden, wir greifen manchmal eben nur bestimmte Teilaspekte heraus und fügen sie in den Fluss unseres Beitrags ein. Genau deswegen verlinken wir ja auf die Originalbeiträge, dann können sich die Leser ein eigenes Urteil bilden. Über die verschiedenen aufgeführten Meinungen lässt sich dann ja sicherlich vortrefflich streiten, am Sinnvollsten wohl aber mit den entsprechend erwähnten Bloggern.
  1. Lusru sagt:
    
    5. März 2014 um 12:29
    
    @jwalter sagt: 5. März 2014 um 11:32
    Danke für Aufmerksamkeit und den Hinweis.
    Da ich mich vor dem Tippen des ersten Blogstaben hier kundig machte über diesen interessanten Platz, ist mir Hinweis und Selbstverständnis bereits zu diesem Zeitpunkt geläufig gewesen und ich habe DESHALB meine Sicht als Blogstaben bei Euch getippt.
    Denn – Es gibt da einen kleinen Schönheitsfehler in Eurem Text:
    “Der Blog Der Lindwurm ist von all diesen Alternativen – ob nun Pro-Europa oder Pro-Russland – insgesamt wenig angetan und will sich folglich so gar nicht vom revolutionären Funken anstecken lassen. Alles Mist, so sein knappes Urteil, ob der unscharfen Verhältnisse in der Ukraine. ” –
    Das ist weder im blog Lindwurm zu lesen, noch so ähnlich artikuliert oder gerichtet, noch “NICHT Eure Meinung” – Es ist ausschließlich “Eure Meinung”.
    Wer halt so sich selber “überholt”, darf sich nicht wundern, wenn dabei auf einmal noch jemand neben ihm ist; Meinung zu Meinung – und erst beides zusammen ergibt dann das, was ihr hier machen möchtet, was mir auch sehr gefällt.
    So habt Ihr (damit!) in der Tat zum “jeweiligen blogger verlinkt” – das seid nun mal eben in dieser Angelegenheit hier Ihr selber als “jeweiliger verlinkter blogger”, und:
    Mit den (verlinkten) bloggern läßt sich am besten direkt – hervorragend streiten ..
    OK?
    Mein gelegentlich sich versteckendes “y” bitte ich nachzusehen, das ist weder Satire noch comic noch Ironie, es ist schlicht Technik in der Geschwindigkeit unterlegen: nicht Kerr sondern natürlich Kerry heißt der gute Mann, die graue Eminenz des US-Präsidenten.
    
    Es sind diese eure eingesammelten Feststellungen, die zu denken geben sollten und die Qualität hier mit prägen:
    “Trotz dieser Überfülle an Informationen und Bildern gestaltete sich die Berichterstattung des etablierten Qualitätsjournalismus inhaltlich überraschend eindimensional, wie dies in gleich mehreren Blogbeiträgen kritisch bemerkt wurde.”
    und
    “Besonders nachdrücklich prangert Korinth in diesem Zusammenhang das Versagen des Qualitätsjournalismus an. Zu einseitig auf die vermeintlich pro-westliche Opposition sei die Berichterstattung fokussiert, zu wenig schaue sie über den sehr eng geschnittenen Tellerrand des Maidan-Platzes und der Kiewer Innenstadt hinaus, zu wenig hinterfrage und recherchiere sie die Zusammensetzung der äußerst heterogenen Oppositionsbewegung, die eben mehr als nur friedliebende, nach Freiheit und Demokratie strebende Gruppierungen, sondern auch (ultra-) nationalistische, rechtsradikale bzw. faschistische Gruppierungen, wie etwa die Partei Swoboda, umfasse. Auch die Rolle des von den westlichen Medien insbesondere hervorgehobenen Oppositionspolitikers – und ehemaligen Boxweltmeisters – Vitali Klitschko und seiner Partei Udar, werde zu wenig hinterfragt.”
    
    Nur:
    Wer bitte sagt das diesen wie im “Revo”-Rausch voneinander abschreibenden Küchenjournalisten von ARD und ZDF, die sich dabei mit einer ihnen aus dem kalten Krieg anklebenden teils dümmlich durchsichtigen Stimmungsmacherei bis zur Peinlichkeit “weltmännisch” geben möchten?
    Gut, ich erlebe auch 2 (zwei) Ausnahmen, die echte News bieten und vor eben gennannten Erscheinungen “leise” warnen.
    
    Macht halt Euren blog, das Konzept ist trächtig – wenn ihr durchhaltet (?) …

Comments are closed.

Ähnliche Beiträge: